Ursula Ott
Das Haus meiner Eltern hat viele Räume
Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren
Btb Verlag, München, 2019

Ursula Ott ist Mitte der 60er Jahre geboren. Ihre Generation ist die der geburtenstarken Babyboomer und alle Lebensphasen, die sie durchgemacht hat, haben viele andere zeitgleich erlebt. So ist sie auch mit der Entscheidung nicht alleine, wie und vor allem wo die älterwerdende und zunehmend hilfsbedürftige Mutter leben soll. Die Kinder, also sie selbst und ihre Schwester, leben hunderte Kilometer entfernt und haben sich ein eigenes Leben mit Familie und Berufstätigkeit aufgebaut. Ganz sicher werden sie nicht in die kleine verschlafene Stadt zurückkehren, in der das große Elternhaus steht. Eine Situation, vor der nicht wenige dieser Generation im Moment stehen.

Ein Jahr auf Probe

Ursula Ott’s Mutter lässt sich auf einen Umzug zur Probe ein, betreutes Wohnen in der Nähe der Kinder. Ein Jahr Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

Die Mutter kommt im betreuten Wohnen gut an, fühlt sich dort wieder gebraucht und wirkt geistig frischer als in den Ritualen mit den immer gleichen Nachbarn. So wird im Familienrat beschlossen, das Haus, das niemand aus der Familie brauchen kann, zu verkaufen. Nach und nach werden die Zimmer ausgeräumt, Erinnerungen noch einmal gemeinsam durchlebt und dann losgelassen.

Es ist ein Plädoyer für die bewusste Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte, um sie dann genauso bewusst auch abzuschließen und nicht mit in die nächste Generation zu nehmen. Es geht um den Wert der Dinge, materiell aber vor allem auch emotional, um Verständnis für die Kriegsgeneration und was sie ihren Kindern und Enkelkindern oft unbewusst mitgegeben haben. Das Verständnis für diese Zusammenhänge befreit uns aber nicht von den real vorhandenen Zinnbechern, Kristallgläsern und Möbeln, die in hundertfacher Ausführung bereits in fast identer Form im Trödelladen stehen. Die Erkenntnis, dass nicht alles, was man aussortiert und das einmal teuer war auch jemand anderer haben will, ist schmerzhaft. Dass es sich aber durchaus für die Seele lohnt, einigen ausgewählten Dingen ein neues Leben zu ermöglichen, auch wenn es dauert, den perfekten neuen Besitzer zu finden, ist eine schöne Idee.

Das Buch erzählt sehr persönlich die Geschichte dieser einen Familie, die emotionalen Schwierigkeiten wie die ganz praktischen Herausforderungen. Dabei verliert es sich aber nicht in sehr speziellen Einzelfällen, sondern bleibt allgemein genug, um sich identifizieren zu können: „Stimmt, das ist bei uns genauso!“

Am Ende bleiben einige eindrückliche Erkenntnisse:

  1. Je früher man sich damit beschäftigt, desto besser.
  2. Weitergeben ist oft nur ein Zeichen der eigenen Entscheidungsschwäche.
  3. Beschenken heißt den anderen erfreuen, nicht sich selbst entlasten.
  4. Bewahren heißt nicht unbedingt aufheben.
  5. Die Seele braucht Zeit sich zu verabschieden.
  6. Jede*r hat seine eigenen Erinnerungen an das Haus und seine Dinge und alle sind wahr und gültig.
  7. Und zu guter Letzt: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, bei mir zu Hause anzufangen um mich selbst, aber auch meine eigenen Kinder so wenig wie möglich mit Dingen zu belasten!

(Bild: Renata Eisen-Schatz)

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